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  • AutorenbildAlessia Büchel

Ruandas Schattenseite

Für uns bedeutet Reisen nicht nur an die traumhaftesten Orte der Welt zu gelangen um ein paar tolle Fotos zu schiessen, sondern sich mit den Menschen und der Geschichte des Landes auseinanderzusetzen. Dazu gehören auch die Schattenseiten, welches jedes noch so schöne Land mit sich bringt. Ruanda hat eine besondere Vergangenheit, welche einen grossen Einfluss auf die Gegenwart und die Zukunft des Landes hat. Um mehr über die Geschichte zu erfahren und die Menschen besser zu verstehen, besuchten wir das "Genocide Memorial Center" in Kigali.

"Der Völkermord an den Tutsi hat eine lange Vorgeschichte, die schon zu Kolonialzeiten begann. Eingeführt wurde die Unterscheidung zwischen Hutu und Tutsi von den deutschen und später belgischen Kolonialherren. In der ruandischen Vorgeschichte war dies eher ein wirtschaftlicher Klassen-Status: Familien mit mehr als zehn Kühen waren Tutsi, Ackerbauern mit weniger Kühen waren Hutu. Die Europäer dachten aber, dies seien ethnische Unterschiede, und schrieben diese in den Ausweisen fest.

Nach der Unabhängigkeit Ruandas 1962 führte die damalige Hutu-Regierung die Diskriminierung der Tutsi-Minderhalt als Politik systematisch fort. Als das Flugzeug mit Präsident Habyarimana an Bord am 6. April 1994 bei der Landung in Ruandas Hauptstadt Kigali abgeschossen wurde, gab die Hutu-Regierung den Tutsi die Schuld und rief über Radio dazu auf, alle Tutsi auszulöschen. Bis heute ist umstritten, wer für den Abschuss des Flugzeugs verantwortlich ist. Rund hundert Tage lang trieben Hutu-Milizen und die Armee die Tutsi zusammen. Viele von ihnen suchten Schutz in Kirchen. Die Sammel- oder Fluchtpunkte wurden umzingelt und die Vertriebenen systematisch ermordet, meist mit Macheten, also dem normalen Gartengerät. Über 1 Million Tutsi verloren in dieser Zeit ihr Leben und Hunderttausende wurden in Massengräbern verscharrt."

"Ruanda ist ein Land mit Hügeln, Berge, Wälder, Seen, lachende Kindern, Märkte, Trommler, Tänzer und Künstler. Unser Land ist fruchtbar und das Klima ideal. Es ist unser zu Hause seit Generationen. Wir sind eine Gemeinschaft, wir sprechen eine Sprache und wir haben eine Geschichte." Dies waren die ersten Sätze, die wir zu lesen bekamen und hatten schon dort bereits Gänsehaut. Das ganze Museum war nur leicht beleuchtet, an den Wänden wurden schwache Gesichter projiziert und wenn man durch die Gänge und Räume wanderte, verlor man jegliches Zeitgefühl. Wir wurden von der Geschichte richtig gefesselt und sprachen kaum ein Wort miteinander. Alles war so ruhig und friedlich, obwohl man so grausame Dinge zu lesen und anschauen bekam. Die Ausstellung war so aufgebaut, dass man zuerst chronologisch die Geschichte an Tafeln und Bildern mitverfolgen konnte. Ab und zu gab es Filmstationen, in denen Überlebende über ihre persönliche Verluste und Erlebnisse erzählten. Mütter die zusehen mussten, wie all ihre Kinder von den Nachbarn mit Macheten herunter geschlachtet wurden oder junge Erwachsene, die keinen einzigen Verwandte mehr haben. Es war so grausam und herzzerreissend, dass man es gar nicht in Worte fassen kann. Dann gelangen wir zu einem Raum, an denen tausende Fotos von Verstorbenen jedes Alters hingen, welche die Hinterbliebenen dem Museum als Erinnerung überliessen. Anschliessend betraten wir einen dunklen Raum mit Vitrinen in denen Knochen, Schädel, Ausweise und Kleidungsstücke ausgestellt waren. Wir waren so hin- und hergerissen, da alles einerseits so schön und friedlich hergerichtet war, andererseits es sich um echte Überreste einer grausamen Zeit handelte. Der letzte Raum jedoch, hat mich persönlich am meisten mitgenommen. Er war so aufgebaut, dass man ein Bild von einem Kind sah und darunter seinen Steckbrief inklusiv der Todesursache lesen konnte. Ein kleines Mädchen, die gerne Schokolade ass und am liebsten mit ihrem Bruder verstecken spielte wurde brutal gegen eine Wand geschmettert, während ein fussballtalentierter Junge mit fünf Geschwistern starb, weil man ihn mit einem Messer in zwei Teile geschnitten hatte. Diese einzelnen Schicksale von unschuldigen Kindern zu lesen, die nun etwa unser Alter hätten, ging uns besonders Nah. Ganz zum Schluss ging es in den Garten, wo sich das Massengrab von 250'000 Menschen befand.

Der Tag ging alles andere als spurlos an uns vorbei. Bei allen Menschen die wir nun auf der Strasse treffen, die gleich alt oder älter sind wie wir, denken wir uns: Diese Person hat alles hautnah miterlebt. Gehörte er zu den Opfern oder hat er vor 25 Jahren zahlreiche unschuldige Personen brutal ermordet?

Doch was mich am meisten beeindruckt, ist die Tatsache wie die Menschen mit dieser grausamen Geschichte umgehen. Sie stehen dazu, wollen aufklären und es auf keinster Weise klein reden oder vergessen lassen. Alle Personen mit denen wir darüber gesprochen haben sind der Meinung, dass es wichtig sei über diese Geschichte Bescheid zu wissen, damit so etwas schreckliches nie mehr wieder passieren kann. Man spürt bei den Menschen keinen Hass oder Vergeltung, sondern einfach nur Akzeptanz. Das Ziel ist nun gemeinsam als Ruander nach vorne zuschauen und dieses Land weiterzubringen. Auch unser Kellner im Hotel sagte ganz klar: Es war eine grausame Zeit, aber wir haben das Beste daraus gemacht und haben Dinge erreicht, die wir ansonsten vielleicht gar nie geschafft hätten. Wir sind schon sehr weit gekommen, aber noch lange nicht dort wo wir sein möchten. Dieser

Arbeitswille ist allgegenwärtig und ich bin mir sicher, wenn Ruanda so weitermacht, wird es nicht nur in Afrika, sondern weltweit eines der erfolgreichsten Länder werden.



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